Vor wenigen Tagen hätte der Bandleader Tommy Dorsey seinen einhundertsten Geburtstag gefeiert, und wie Sie alle, die Sie sich mit Sinatra befassen, vermutlich wissen, Sinatra in einigen Tagen seinen neunzigsten. Obwohl im Grunde keiner der sentimentalen Sorte, nehme ich diese Gelegenheit dennoch gerne zum Anlass, um Ihnen ein Thema anheimzustellen, welches beiden Gedenktagen entgegenkommt, weil sowohl Dorsey als auch Sinatra zu den Protagonisten des Songs Just As Though You Were Here gehören.
Der Song wurde von John Benson Brooke und Eddie DeLange geschrieben und vom Tommy Dorsey-Orchestra zusammen mit Sinatra erstmals am 18. Mai 1942 in New York aufgenommen. Ebenfalls zu hören auf der Einspielung: Das Vokal-Ensemble des Dorsey-Orchesters, genannt The Pied Pipers. Arrangiert wurde diese Aufnahme von Axel Stordahl, uns allen wohlbekannt als Sinatras späterer Haupt-Arrangeur während der ersten Solo-Jahre des Sängers beim Label Columbia. Die auf Single veröffentlichte Nummer schlug sich in den Charts durchaus gut und erreichte Rang Numero 6 der Billboard-Parade.
Der Barde nahm sich des Songs viele, ja sicherlich zu viele Jahre später noch einmal an, nämlich in einem Aufnahmestudio zu Hollywood und zwar exakt am 24. Septembre 1974, woselbst er den Song diesmal zu einem Arrangement von Gordon Jenkins zu singen versuchte. Diese Aufnahme blieb dann allerdings unveröffentlicht – bis 1990.
Wohlan, die erste Version des Songs finden sie in der 5-CD-Box „Sinatra/Dorsey: The Song Is You“ und zwar gleich in zwofacher Ausführung, zunächst einmal die Studio-Version und weiters auch eine Radio-Aufnahme, ebenfalls aus dem Jahre 1942.
Eine ebenfalls anno 1942 entstandene Radio-Aufnahme des Titels finden Sie auch auf der CD „Young Blue Eyes – Birth Of The Crooner“.
Darüber hinaus mögen noch weitere Radio-Versionen aus der Frühzeit auf irgendwelchen Billig-Samplern erschienen sein, ich nenne hierorts nur die offiziell abgesegneten Versionen – sollten Ihnen weitere Aufnahmen bekannt sein, tragen Sie diese innerhalb Ihres Beitrags nach.
Die Spaeth-Version erschien nach langen Jahren des Archiv-Daseins erstmals 1990 auf dem 4-CD-Set „The Reprise Collection“. Ebenfalls zu finden ist diese Version selbstredend innerhalb der kolossalen Werkschau „The Complete Reprise Studio Recordings“, welche auf 20 CD´s Sinatra´s Studio-Schaffen für das Label Reprise dokumentiert.
In der Tat, vorderhand einmal genug der Worte, nun ist es an Ihnen mit Ihren Beiträgen eine ersprießliche Diskussion zu diesem Song in Gang zu setzen. Falls Sie auch Aufnahmen von anderen Künstlern, die sich des Songs angenommen haben, kennen, lassen Sie diese Hörerfahrungen gegebenenfalls in Ihre Stellungnahmen mit einfließen.
Den Text mag ich Ihnen natürlich auch diesmal nicht vorenthalten:
I'll wake each morning and I'll promise to laugh I'll say "Good morning" to your old photograph Then I'll speak to you, dear, just as though you were here
When purple shadows start to welcome the dark I'll take the same old stroll we took through the park And I'll cling to you, dear, just as though you were here
But I know so well that distance and time will finally tear us apart The farther you go, the longer you stay, the deeper the doubts in my heart
Each night before I wander off into sleep I'll bring to light the tears I've buried so deep Then I'll kiss you, my dear, just as though you were here
And when I hear a lonesome train, I'm afraid I'll think of all those trips we never quite made Fragile dreams that we planned Then I'll reach for your hand Just as though, just as though you were here
Hier haben wir einen exzellenten Beleg für die Macht der Darstellung (So eine Bemerkung kann nur von einem BWLer kommen? "Zwei Drittel des Präsentationserfolges sind gänzlich inhaltsunabhängig.") Nach meinem Dafürhalten zeigt sich in keinem anderen Sinatra-Song so sehr wie in "Just As Though You Were Here" die These, dass Arrangement und Interpretation tatsächlich mehr Einfluss auf die Wirkung einer Performance haben, als das Material an sich.
1942: Eine schwere Zeit
Die Dorsey-Version stellt für sich betrachtet ein schmachtendes Liebeslied dar, wie sie Sinatra mit dem Orchester zu dieser Zeit meterweise aufnahm. An sich nichts Besonderes, in meinen Augen aber dennoch im Rennen um den schönsten Sinatra/Dorsey-Schlager vorne mit dabei. Die Pied Pipers sind eine große Bereicherung (wie immer), in diesem Fall besonders durch ihre gedehnten Einwürfe im Wechselspiel mit Frankie. Der Leadsänger selbst interpretiert den Song mit seiner für damalige Verhältnisse typischen (symptomatischen) melancholisch-leichten Verträumtheit, die auf den ersten Blick der Endgültigkeit in der Textaussage nicht unbedingt zu genügen scheint. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich gerade hierduch die interpretatorische Leistung, die hervorragend mit dem "take it easy"-Arrangement harmoniert. So entsteht eher eine den Lyrics nicht entgegenstehende sondern über sie hinausgehende Aussage: Die Liebe scheint so stark zu sein, dass keine noch so lange Trennung sie zerstören könnte. Sinatra versteht es, auch im Hinblick auf den Hintergrund der "schweren Zeit" (für US-Amerikaner eher: "complex political situation" - Macht der Präsentation) Hoffnung zu transportieren.
Don't be afraid that distance and time will finally tear us apart The farther you go, the longer you stay, the deeper you grow in my heart ...
1974: Eine schwere Zeit (II) oder: Same shit, other day
Zweiunddreißig Jahre später, des Meisters Popularität befindet sich unaufhaltsam auf ihrem Weg "den Bach runter", und das, obwohl wirklich er alle Register gezogen hat, um zu Publicity kommen. Noch spektakulärer als ein Rücktritt und Neuanfang geht es doch beim besten Willen nicht? Noch mehr Schlagzeilen hätte man höchstens noch durch Vortäuschung des eigenen Todes machen können, nur mit dem Rücktritt davon ist es dann eben so eine Sache ... Kurz gesagt, man hat wirklich alles versucht und nichts war von Erfolg gekrönt. Zu allem Überfluss bröckelt auch noch langsam oder sicher die Stimme weg ... moment, das ist einen Versuch wert! So oder so ähnlich muss die "geniale" Idee entstanden sein, sich in der Post-Retirement-Phase auf mal mehr und mal weniger schwarze Balladen zu spezialisieren. Bevor ich eine Gegendarstellung wegen übler Nachrede machen muss: bloße Spekulation, es kann auch vollkommen anders gewesen sein - dann will ich aber erst mal bessere Gründe hören. Nachdem jüngere Experimente mit diversen Pop-Balladen auch nicht beim gesamten Publikum auf uneingeschränkten Beifall stoßen, zerrt man ein paar Klassiker aus den Archiven und versucht sie von ihrer dunkelsten Seite zu präsentieren (Gordon, mach du mal, du hattest das doch früher auch immer so gut drauf). Das Ergebnis ist eine der brechenden, weinerlichen Stimme des Altmeisters sehr entgegenkommende Interpretation, die jede Hoffnung der Urversion zunichte macht und in Verzweiflung umwandelt. Dazu mussten textlich so gut wie keine Änderungen vorgenommen werden. Ein paar Worte in der Bridge verändert, noch eine zusätzliche Finalstrophe, die das ursprünglich offene Ende festlegt und den Hörer endgültig von der Verlegenheit einer (dem neuen Image absolut nicht zuträglichen) möglichen Fehlinterpretation ins Träumerische befreit. "Ein gebrochener Mann wie dieser kann nur Verzweiflung meinen, selbstverständlich haben Sie als Reprise-Kunden und damit die Elite der überdurchschnittlich weisen Menschen das längst selbst herausgehört." (aber sicher ist sicher, das Marketing findet die Idee noch dazu auch nicht schlecht, und die müssen es schließlich wissen, sprach der Plattenboss, und so geschah es). "Just As Though You Were Here" '74 bietet noch eine weitere faszinierende Facette. In seinem unendlichen Schwermut kommt das Stück, textlich von vorne bis hinten konsequent, einem Abgesang Sinatras auf die eigene Stimme, das eigene Talent, die eigene Karriere gleich. So wird diese Nummer (unfreiwillig?) zum "Signature Song" im übertragenen Sinne für den Post-Retirement-Sinatra, zum Inbegriff für das Sterben eines Superstars.
But I know so well that distance and time will finally tear us apart The farther you go, the longer you stay, the deeper the doubts in my heart [...] And when I hear a lonesome train, I'm afraid I'll think of all those trips we never quite made Fragile dreams that we planned Then I'll reach for your hand Just as though, just as though you were here
-------------------------------------------------- Die Leute, die das Gras wachsen hören, sind meist dieselben, die es gesät haben. (Peter Frankenfeld)
Zitat von T.BodeZiemlich beeindruckend, wie Du hier die Super-Artikel quasi aus dem Ärmel schüttelst.
Setz mich nur kräftig unter Druck, Thorsten. Irgendwann kommt dann das ganz große kreative Loch ...
-------------------------------------------------- Die Leute, die das Gras wachsen hören, sind meist dieselben, die es gesät haben. (Peter Frankenfeld)
Den Eindruck von Thorsten kann ich nur bestätigen. Die Postings von Franz sind in der Tat stets von beeindruckender Qualität. Derartigem begegnet man sehr selten, egal ob in einem Sinatra-Forum oder in einem Forum zu einem beliebigen anderen Musiker. Möge die Inspiration noch lange erhalten bleiben!
Um dem Song oder vielmehr seiner Bedeutung im vollen Maße gerecht werden zu können, sollte man zunächst einmal auch nicht vergessen, in welcher Zeit dieses Lied entstanden ist. In erster Linie war der Song wohl liierte Frauen interessant, deren Männer irgendwo an einer der zahlreichen Fronten waren (vielleicht sogar gefallen) und davon gab es damals wahrlich genug. Der Text repräsentiert also zum Großteil auch den damals vorherrschenden Zeitgeist. In sofern interpretiert ihn Sinatra in Verbund mit den Pied Pipers also so, wie er ursprünglich auch vorgesehen war.
Ganz anders ist dagegen die '74er-Version. Sinatra versucht hier, dem Song ein neues Schild umzuhängen, ein neues Kleid überzustreifen oder kurz: Eine neue Bedeutung zu geben. Dies funktioniert (Die stimmlichen Unzulänglichkeiten etc. mal ganz außen vor gelassen) oberflächlich gesehen ja auch ganz gut, nämlich ein dunkles Liebesdrama. Wie gesagt, es funktiert, Sinn ergeben tut es jedoch erst in obig dargestelltem Zusammenhang und in der Dorsey-Version.
Und so ist das auch bei manchen anderen Songs. Der Text mag im ersten Augenblick austauschbar klingen, nichts besonderes sein, er ist es aber doch, wenn man sich die Hintergründe vor Augen führt und "Just As Though You Were Here" ist da ein erstklassiges Beispiel.
Sehr geehrte Damen und Herren Leserinnen und Leser - Sie befinden sich in einer Kommunikationseinrichtung, welche den ENTERTAINER OF THE CENTURY (mit anderen Worten SINATRA, SINATRA und nochmals SINATRA) in ersprießlicher Weise thematisiert wissen möchte. Geschätztes Publicum: Diese Einrichtung ist in der Tat so hochgradig erquickend, so ungemein gastlich, der Wohlfühlfaktor so enorm hoch, dass es kurzum nichts Geringeres denn eine wahre Lust ist, sich hierorts aufzuhalten und sich durch die mannigfaltigen Rubriken zu bewegen! Sehen Sie sich gut und in aller Ruhe um und Sie werden - darauf mein Wort - nicht umhinkommen zu sagen: "Hier ist es schön, hier will ich bleiben."
*** Wertes Publicum: FRAU CHARLOTTE ROCHE ist eine GÖTTIN - eine WAHRE GÖTTIN ***