Guten Tag!

Verehrtes Publicum, eine Ballade welche Sinatra jahrzehntelang im Programm hatte und von der unterschiedliche Studio-Aufnahmen aus mehreren Jahrzehnten vorliegen, steht nunmehr zur Diskussion an:

Nancy
(Text und Musik: Phil Silvers/Jimmy Van Heusen)

Was die Entstehungsgeschichte des Titels angeht, so geht die Sage, Mr. Silvers habe den Text für Sinatras Tochter Nancy an deren vierten Geburtstag geschrieben, quasi aus dem Stegreif, auf der Geburtstagsfeier des Schratzen. Dabei baute er auf einem anderen von ihm geschriebenen Song auf. Sinatra brachte das Lied alsbald in einer Radio-Sendung zur Aufführung, nicht lange darauf nahm er es auch im Studio auf, zunächst am 8. Julei 1944 für V-Disc (erschienen auf „The V-Discs“), dann am 3. Decembre 1944 für das Label Columbia (unverständlicherweise bis zum Erscheinen der kompletten Columbia-Aufnahmen anno 1993 unveröffentlicht geblieben) und schließlich nochmals für Columbia am 22. August 1945. Diese Aufnahme wurde seinerzeit sehr wohl als 78er-Single veröffentlicht und kann auf der oben erwähnten Komplett-Box sowie auf zahlreichen Samplern mit Material der Columbia-Phase nachgehört werden. Als Arrangeur glänzt in allen bislang erwähnten Fassungen Axel Stordahl.

Viele Jahre später - anno 1962 - unternahm Sinatra zusammen mit einem von Schnauzbart Bill Miller geleiteten Sextett eine Wohltätigkeitstournee, die ihn rund um den Globus führen sollte. Das Sextett-Arrangement des Songs besorgte seinerzeit Neal Hefti. Von dieser Tournee sind Jahrzehnte später zwo Tondokumente offiziell erschienen, beide enthalten eine Fassung von Nancy: „Royal Festival Hall“ (soweit mir erinnerlich allerdings nur in Brasilien auf den Markt gebracht) sowie „Sinatra & Sextet Live In Paris“.

Bei der Zusammenstellung des Materials für die LP „Sinatra´s Sinatra“ besann man sich abermals der Ballade und der Sänger spielte sie am 29. Avril 1963 erneut ein. Das Arrangement stammte diesmal von Nelson Riddle und weist ganz erhebliche Unterschiede zu dem von Stordahl geschriebenen auf. Auch wurden - wie Sie freilich wissen dürften, meine sehr verehrten Damenherren - textliche Veränderungen vorgenommen. In dieser neu arrangierten und die Namen der im Song erwähnten Filmschauspielerinnen betreffend aktualisierten Fassung bot Sinatra „Nancy“ auch anno 1965 in seinem auf Digital Versatile Disc erhältichen TV-Special A Man And His Music dar. In den kommenden Jahren tauchte der Song immer wieder einmal im Live-Programm des Barden auf, auch in seinem Abschiedskonzert vor seinem Retiremet anno 1971 war der Titel enthalten. Nach seinem knapp zwo Jahre währenden Ruhestand nahm Sinatra 1974 den regulären Konzertbetrieb wieder auf, wobei auch „Nancy“ ab und an auf dem Programm stand.

1977 arbeitete Sinatra an einem Plattenprojekt mit dem Arbeitstitel „Here´s To The Ladies“, nur eine knappe Handvoll Songs wurde tatsächlich realisiert, darunter auch „Nancy“, aufgenommen am 7. März 1977 und erschienen erstmals 1990 auf The Reprise Collection (4CD), später auch auf The Complete Reprise Studio Recordings (20CD). Danach verschwand der Song auch - abgesehen von ganz wenigen Ausnahmen - aus Sinatras Konzertprogramm.

Nun, da Sie, werte Leserinnen und Leser, erfahren haben, welche Versionen von „Nancy“ existieren und wo Sie sie finden können, darf ich Sie wie immer einladen, höchstselbst in emsige Tätigkeit zu verfallen, sprich die verschiedenen Versionen durchzugehen und uns hierorts Ihre Eindrücke zu schildern. Meine Ansichten lasse ich Ihnen schon heute zukommen - meine Damen und Herren, mit Ihrer freundlichen Erlaubnis:

Das Lied „Nancy“ gehört eigentlich nicht eben zu meinen Top-Favoriten, was andererseits aber auch nicht heißt, dass er mir gar nicht gefallen würde, oh nein, es handelt sich dabei nämlich um ein durchaus nettes Liedchen - Nur würde ich nie eine CD extra um dieses Songs Willen aus dem entsetzlichen Durcheinander meines Regals herauskramen, was ich heute aber ausnahmsweise natürlich getan habe, um mir ein Bild von den verschiedenen Versionen dieses Liedes zu machen.

Sinatra hat den Song in etlichen Versionen aufgenommen, am besten gesungen ist wohl (wie so oft, wenn mehrere zeitlich weit auseinanderliegende Fassungen vorliegen) die erste Columbia-Version. Einzigartig! Die zweite Columbia-Version steht der ersten Version kaum nach, ist ihr im Grunde ebenbürtig. Die V-Disc-Fassung indes ist zumindest stimmlich gesehen vielleicht sogar die beste. Die erste Reprise-Fassung, die man u.a. auf „Sinatra´s Sinatra“ findet, halte ich ebenso für ziemlich gelungen und sie ist in allererster Linie wegen der ungleich besseren Tonqualität interessant. - Dass sie aber stimmlich den Vergleich mit den Columbia-Versionen nicht standhält, ist eine Tatsache, die sich beinahe von alleine versteht. Sinatra´s Stimme befand sich zum Zeitpunkt der beiden Columbia-Fassungen gerade auf dem Höhepunkt.

Die Live-Versionen von anno 1962 sind nicht zuletzt der Sextett-Besetzung halber hochinteressant, stimmlich bewältigte der Barde den Song beim Konzert zu London besser als später beim Auftritt zu Paris, welcher generell an stimmlicher Abnutzung des Sängers im Laufe einer langen Tournee etwas leidet.

Nun noch einige Worte zu der Reprise-Version, die Sinatra im Jahre 1977 für das geplante „Here´s To The Ladies“-Album aufgenommen hat: Ich halte hier das Arrangement von Nelson Riddle für besonders gelungen, vor allem die Trompete im Hintergrund ist sehr wirkungsvoll eingesetzt. Und Sinatra´s gesanglicher Vortrag... je nun, was soll man da sagen... Von der Handvoll damals aufgenommener Ladies-Songs scheint mir der Sänger bei „Nancy“ stimmlich noch am besten disponiert gewesen zu sein, andere Songs dieser Sessions wie etwa „Sweet Lorraine“, vor allem aber „Linda“ sind im Vergleich zu „Nancy“ ganz erbärmlich gesungen, da wird wohl kaum jemand ernsthaft widersprechen wollen... Ja, man könnte durchaus sagen, dass Sinatra auch diese Spät-Version gut geglückt ist, sogar ich, der ich der Post-Retirement-Phase im Allgemeinen nicht ganz ohne gewisse Vorbehalte gegenüberstehe, kann mit dieser (allerdings sehr, sehr kurz geratenen) Aufnahme leben.

Nun werde ich mir diese 77er-Version zwar mit einiger Sicherheit in den kommenden Jahren nicht so bald willentlich erneut anhören, aber immerhin, sie bereitet mir kein Ungemach, und würde ich sie irgendwann (was aber eher unwahrscheinlich ist) zufällig hören, würde ich mir deswegen nicht gleich die Zeigefinger in die Ohren stecken. Wie gesagt, vor allem das Arrangement (Riddle natürlich!) ist besonders hervorzuheben und Sinatras halbwegs gute stimmliche Verfassung überrascht mich im Grunde, vor allem, wenn man bedenkt, wie wenig erquickend seine Leistungen bei den Sessions 1977 ansonsten waren.

Meine Damen und Herren, Sie haben das Wort.