Wenn wir heute von Frank Sinatra als größtem Interpreten des 20. Jahrhunderts sprechen, dann auch weil er es über 60 Jahre lang verstand, ein Publikum um sich zu vereinen, das oft untereinander verschiedene Musikgeschmäcker hatte, an diesem Umstand hat sich bis heute nix geändert. Das erklärt, warum der eine den Sinatra der Columbia-Sinatra lieber mag und der Andere den Reprise-Sinatra.
Nicht umsonst sagen viele, dass es sich bei Sinatra im Laufe der Zeit im Grunde um 3 verschiedene Sänger handelte.
Das ist aber nur Teil der Wahrheit, immerhin verstand er es wie kein Zweiter, in die verschiedensten musikalischen Identitäten zu schlüpfen: Hier der völlig liebestrunkene hippe Swinger, da der verzweifelte Junggeselle, von seiner Liebsten verlassen, der sich in einer Bar mit allerlei verschiedenen alkoholischen Genussmitteln zuschüttet.
In jedem Falle war er ein Genie, der es verstand mit Qualität, nicht mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner, ein sehr breit gefächertes Publikum um sich zu scharren.
Im Falle von "(I Got A Woman Crazy For Me) She's Funny That Way" haben wir den Umstand, dass Aufnahmen aus zwei verschiedenen Jahrzehnten vorliegen, kommerzielle Studioaufnahmen existieren aus den Jahren 1944 und 1960.
Zwei Mal der selbe Song und irgendwie doch nicht, dafür weisen beide Versionen einen zu verschiedenen Charakter auf.
Doch nun werde ich ein paar Sätze zu jeder mir bekannten Version schreiben, eine nach der Anderen in chronologischer Reihenfolge.
Victory Disc
21. November 1943
Die erste mir bekannte Version.
Was sofort ins Auge sticht ist das Arrangement, einziger Schwachpunkt: Sinatra, der hier noch etwas unsicher agiert, verglichen mit der Studioaufnahme für Columbia.
Kein Wunder, es liegen zwischen beiden Version ein Jahr und auch einige Versionen, so dass er schon reichlich Erfahrung sammeln konnte.
Vimms Vitamins
16. August 1944
Butterweicher Gesang, einfach nur bezaubernd. Teilweise singt er den Song ja nicht, sondern haucht ihn!
Sinatra trifft hier mit seiner jugendlich-naiven Interpretation den Nagel genau auf den Kopf, das Arrangement ist Song und Interpreten wie auf den Leib geschneidert!
Ein beredtes Beispiel dafür, wie Sinatra es immer wieder schaffte, Text und Aussage eines Songs zum Leben zu erwecken und ich bin mir sicher: So und nicht anders wollten die Autoren den Song interpretiert wissen.
Die tolle gesprochene Einleitung (siehe Eingangspost) tut ihr Übriges, er gibt hier ja quasi Einblick in seine Arbeitsphilosophie.
Columbia-Studioaufnahme
19. Dezember 1944
Was Sinatras Gesang angeht siehe oben.
Grandios wie er seine Stimme fließen lässt und jede Note, jede Nuance des Songs perfekt ausfüllt.
Der wichtige Unterschied ist allerdings die Soundqualität, die hier viel durchsichtiger und klarer ist.
Er singt zudem noch einen zusätzlichen Vers, was diese Version zu etwas Besonderem macht:
"When I heard her Feelings, once in while
Her only answer is one little smile..."
Ein hauchdünner Vosprung gegenüber der Version aus der Vimms Vitamins Show, allein schon wegen der Soundqualität.
Filmsoundtrack: "Meet Danny Wilson"
13. Juni 1951 (gekürzt)
(Erschienen im Boxset "Sinatra in Hollywood", CD3, Track 23)
Schon allein die Piano-Einleitung von Ken Lane (der übrigens später zu Dean Martins Hauspianisten wurde) ist ungeheuer stimmungsvoll. Interessant auch die Trompete von einem gewissen Mannie Klein, die hier vom Arrangeur und Orchesterleiter Joseph Gershenson dominant in das Arrangement eingeflochten wurde.
Offenbar (natürlich war es so) kannte Riddle, der später das Arrangement für die Capitol-Version schreiben sollte, diese Aufnahme, denn er adaptierte die Idee mit der Trompete.
Leider ist das Ganze Ding hier arg gekürzt und auch Sinatra lässt den Schmelz in der Stimme schmerzlich vermissen, obwohl er seinen Gesang sehr eng an den der Capitol-Studioversion anlegt. Leider passte seine gereifte Stimme nicht mehr zu dieser butterweichen Interpretation. Hinzu kommt die total verrauschte Tonqualität.
Dennoch eine sehr gelungene Einspielung, aber mindestens zwei Stufen hinter der Capitol-Version.
Liveaufnahme/Melbourne
19. Januar 1955
Tontechnische Dissonanzen und Verzerrungen prägen leider das Bild dieser Version.
Man muss den Tonregler schon weit aufdrehen, um den breiigen Sound etwas auszugleichen.
Ansonsten eine höchst gelungene, sehr intime Version nur mit Piano und ich glaube Bass (die Übersteuerung der Aufnahme verhindert eine 100% sichere Identifizierung).
Sinatra interpretiert den Song mit einer passenden Zurückhaltung, scheint für diese Zeit (1955) aber leider während des gesamten Konzertes nicht besonders gut bei Stimme.
Capitol-Studioaufnahme
2. März 1960
Zunächst zum Arrangement, welches man nicht anders als genial nennen kann.
Riddle hat hier zugunsten der Trompete von Cappy Lewis, die sich mit verschiedenen Blech- und Holzbläsern abwechselt, die String-Section verkleinert und zwar auf ein Maß, das einfach nur einen perfekten Background bietet.
Das virtuose Trompetenspiel ist schlicht genial, ebenso wie die meist kurzen, aber punktgenauen Einwürfe von Holz- und Blechbläsern.
Sinatras Gesang ist schlicht und ergreifend genial.
Wie er einzelne Wörter des Refrains immer wieder neu betont (mal in die Tiefen ("Sheeeeed be so much..."), mal in die Höhen gehend) und manchmal einzelne Noten verlängert ("I got a womaaaaan", ganz am Ende) ist schlichtweg genial.
Wollte man einem Nichtkenner Sinatras immer wieder in den Nachthimmel gelobte Phrasierung begreiflich machen, bräuchte man ihm bloß diesen Song in dieser Version vorzuspielen.
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In jedem Falle ist dieser Song ein beredter Beweis von Sinatras Verständnis einen bereits eingespielten Song nach einiger Zeit völlig anders zu interpretieren, ihm einen ganz anderen musikalischen Charakter zu verleihen (siehe auch Anfang des Posts).
Stellt sich nur noch die Frage, welche Version ich bevorzuge.
Die Columbia-Studioaufnahme zeigt deutlichst die Stärken des jungen Sinatra auf und beweist, dass er seinen Kollegen damals künstlerisch bereits zehn Meilen uneinholbar voraus war und auch warum er damals die Popmusik und den Gesang an sich revolutionierte.
Die Capitol-Version hat eine andere, viel reifere und abgeklärtere Ausstrahlung und wird von Sinatra naturgemäß vollkommen anders interpretiert.
Beide Versionen bewegen sich auf absolut himmelhoch-jauchzendem Niveau, wodurch es wohl eine Entscheidung der Millimeter wird, eine reine Frage des Geschmacks.
Ich entscheide mich mit unglaublich geringem, kaum wahrnehmbaren Vorsprung für die Columbia-Fassung.
Der romantisch gefärbte Zeitgeist bzw. Musikgeschmack der 40er Jahre (der sich auch im Arrangement widerspiegelt) passt besser zum Song und Sinatras Interpretation kommt der Botschaft des Songs, die von Natur aus (textlich bedingt) schon eine etwas naive, romantische Prägung hat, mehr zustatten, wie ich finde.
Ich hoffe, mein Review hat euch gefallen...
Und bitte nicht vergessen: Im EotC-Forum liest man besser!
Thorsten Bode
"May you all live to be 150 years old, and may the last post you read be mine!"
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