Mesdames et messieurs,
es ist an der Zeit, Ihnen einige ganz besondere Schätze ans Herz zu legen, die selbst für den routinierteren Sinatra-Kenner ein gewisses Überraschungsmoment beinhalten. Das im Folgenden thematisierte Album ist eines der am wenigsten besungenen, wenn nicht gar das unberühmteste Werk von Ol' Blue Eyes, aber meiner Ansicht nach hat es dieses Schattendasein nicht verdient, weshalb ich ihm einen dringend überfälligen Beitrag widmen möchte.
Der Titel lautet schlicht Look to your heart, und wenn sich jetzt einige Eingeweihte an dem Wort Album in diesem Zusammenhang stören, so sei ihnen gesagt, dass diese Bezeichnung bewusst gewählt wurde. Bekanntermaßen bezeichnet ein Album eine Kollektion von Songs (ursprünglich Singles), und mit eben so einer haben wir es in diesem Falle zu tun.
Dass die Titel zunächst als Singles veröffentlicht wurden und nicht auf ein Konzept hin zusammengestellt wurden scheint mir ein zu schwaches Argument, um diese Alben geringer zu schätzen als die berühmten Konzept-Alben. Denn gerade die in der Capitol-Ära erschienenen "Single-Zusammenstellungen" wurden mit viel Liebe kompiliert und Sinatras Sangeskunst in dieser Phase ist ohnehin unbestritten.
Ziehen wir im Falle des 1959 veröffentlichten "Look to your heart" noch die Kriterien geringer Bekanntheitsgrad, größtenteils theatralische Arrangements, Nelson Riddle und die Zeitspanne 1953 - 1955 in Betracht, ist der rote Faden nicht mehr zu übersehen, die Logik der Zusammenstellung unbestreitbar.
Doch genug der Vorrede, nun wird es höchste Zeit, das Album zu öffnen und sich die/der Frage zu stellen, inwieweit die vertretenen Titel ihr vielfach eher stiefmütterliches Image tatsächlich verdienen.
Leider konnte ich kein größeres Bild finden, aber für den Eindruck wird es reichen, und ohnedies ist der Schaden nicht so groß.
1. Look To Your Heart
2. Anytime-Anywhere
3. Not As A Stranger
4. Our Town
5. You, My Love
6. Same Old Saturday Night
7. Fairy Tale
8. The Impatient Years
9. I Could Have Told You
10. When I Stop Loving You
11. If I Had Three Wishes
12. I'm Gonna Live Till I Die
Sicherlich, das "Cover Artwork" lässt noch den einen oder anderen Wunsch offen und ist für sich kaum ein Grund, diese Platte auch nur aus dem Regal zu nehmen (Wer jetzt erst mal im hauseigenen Platten-Ablage-Index suchen muss und "Plattenkiste, staubige - Position: weiter unten geht nicht" findet, sollte sich vielleicht Gedanken machen), bietet es doch nicht viel mehr als die verzichtbare Demonstration von Sinatras blendendem Tipp-Ex-Gebiss und (außen rum) den Meister selbst in einer Pose, die in ihrer auf natürliche Weise anmutigen Lässigkeit an Napoleon Bonaparte gemahnt und einem absonderlich stillosen Chapeau mit schwarz-rot-goldener Kordel. Kein Grund zur Veranlassung.
Kommen wir zum musikalischen Teil und starten mit der wunderbaren Ballade "Look to your heart" aus dem Hause Cahn / Van Heusen, die bedauerlicherweise geringfügig unter einer sehr dezent eingesetzten Solo-Sopranistin zu leiden hat (zum Mitsingen: aaaaah), die aber dem Lied keinen größeren Schaden zufügen kann, weil das wunderbare kleine Streicherensemble sie fast vergessen macht. Eine wunderschöne Melodey mit großer innerer Dramatik und das ganz ohne pompöse Effekthascherei. Ganz wie in alten Columbia-Zeiten.
Fast nahtlos wirkt der Übergang zu "Anytime-Anywhere", einem dieser raffinierten kleinen Stücke, das im Stil von etwa "But Beautiful" daher kommt und etwas weniger durch Dramatik, dafür umso mehr durch diese ganz eigene zeitgenössische melodische Ästhetik der Dreißiger oder Vierziger Jahre glänzt (geschätzte Datierung, auf jeden Fall lange vor der Erfindung der Drei-Akkord-Musik) und jedes Mal wieder Freude macht.
Der dritte Titel, "Not as a stranger", bringt die versprochene Theatralik unter anderem durch seine furiosen Hörner und den mehr als drivenden Beat ins Spiel. Sinatra selbst gibt sich alle Mühe, sein Übriges zu tun. Für ein romantisches tête-à-tête bei Kerzenschein nicht unbedingt uneingeschränkt geeignet, aber nichtsdestoweniger kann es überzeugen.
"Our town" schlägt wieder etwas ruhigere Töne an, steht allerdings dem Vorgänger an Dramatik in nichts nach. Insofern gerechtfertigt, als dieser Song dem Soundtrack zur gleichnamigen NBC-Fernsehproduktion zugeordnet werden kann, und gerade im Fernsehen muss man die Atmosphäre vermutlich bis hin zur Übertreibung verstärken, damit der Zuschauer die perfekte Illusion erleben kann. Das völlige Fehlen eines Hintergrund-Rhythmus mag auf den ersten Blick irritieren, ist aber ein hervorragendes Mittel, den Interpreten die vollkommene Freiheit der Theatralik durch freien Vortrag zu lassen. Wie gesagt, "großes Kino" auf der Mattscheibe eben.
Von seiner intimen Seite zeigt sich Sinatra in "You, my love", einer sehr dezent orchestrierten Nummer, bei der Sinatra im Wechselspiel aus dezenter Klavierbegleitung und lebhaften Orchestersätzen eine hervorragende Figur macht. Bis ihn in diesem Stück jemand auch nur annähernd Paroli bieten wird, muss noch viel Zeit vergehen.
Doch nun zu etwas völlig anderem: Mit "Same old Saturday night" hat sich doch tatsächlich ein soft-swinger auf "Look to your heart" verirrt. Kurz vor der Halbzeit lockert er ein wenig die durchweg gespannte Konzentration des Hörers und trägt dazu bei, diesem Album auf Anhieb einen Wiedererkennungswert zu verleihen. Sicherlich keines der großen Meisterwerke sondern plain and simple business as usual, aber dass das bei Sinatra kein schlechtes Urteil in Richtung Mittelmaß darstellt, darüber dürften wir uns alle einig sein. Es besteht kein Grund, dieses Stück in Vergessenheit geraten zu lassen, das charakterlich die alten Zeiten von "Songs for swinging lovers" heraufbeschwört. Nice 'n' easy zum Frühstück bei einer Tasse Kaffee.
Die im übertragenen poetischen Sinne traumwandlerisch Veranlagten unter uns werden mit "Fairy Tale" bedient, das auf Nelson Riddles bewährte Surrealitäts-Effekte in allen gewohnten Registern in Form von Harfen-Arpeggios, verspielten Flöten, verschlafenen Xylophon-Drop-ins einsetzt sowie erst- und einmalig(?) Streicher, die wie eine singende Säge klingen. Die "fiese" Riddlesche Chromatik gepaart mit einer, so scheint es, von Jenkins inspirierten Unwirklichkeit ist eine Kombination, die beim zur Ehrlichkeit verpflichteten Autor in der Regel Kopfschmerzen auslöst, aber das hat nichts zu sagen, werden die genannten Techniken doch von vielen hoch geschätzt und entsprechend gelobt. Muss was dran sein...? Immerhin wurde mir eine Sekunde lang schwummerig. Beeindruckend, diese technische Meisterschaft.
Weil das vorliegende Album eine liebevoll komponierte musikalische Einheit bildet, wird ein Rest dieser Wirkung auch in das folgende Stück weitergetragen. Das Singende-Sägen-Substitut bleibt, weil wir uns so (qualvoll) daran gewöhnt haben. "The Impatient Years" ist dem Sinatra-Liebhaber allerdings nicht unbekannt, und das auch zu Recht. Frankie tut wesentlich mehr als den Song zu retten. Er läuft interpretatorisch und stimmlich wieder zu absoluten Höchstleistungen auf, die in ihrer Intensität fast überzogen wirken. Wie schon vorher in "Our town" und "Look to your heart" wird die Zugehörigkeit zu besagter NBC-Serie dafür verantwortlich sein. Der Kontext ist bei der Beurteilung dieser Songs - oder sollte man sagen: Scores? - unbedingt zu berücksichtigen.
"I could have told you" wiederum ist ein unprätentiöses, klein gehaltenes Stück, das stilistisch wie thematisch auch gut auf "In The Wee Small Hours" gepasst hätte. Ideales Material für Sinatra also, dessen größte Stärke auf diesem Gebiet zu suchen war. Selbst eingefleischte Columbia-Ära-Jünger werden es lieben, schade nur, dass es nicht im Rahmen des meisterhaften Albums zu größerer Bekanntheit gelangt ist. Bei "Look to your heart" ist es allerdings auch nicht gerade in schlechter Gesellschaft, kann hier sogar eine Sonderstellung als kleines Highlight einnehmen.
Die nette Sopranistin von vorhin wird in "When I stop loving you" nun endlich von ihrem Hintergrunddasein erlöst. Hinzu kommt ein beispiellos aufdringlicher Chor, der "Any Time at all" zur Ehre gereicht hätte, in diesem Fall noch dazu absolut entfesselt, da nicht durch ein seichtes Arrangement gebunden. Dazwischen kommt dieser Mister Sinatra mit seinem virtuosen Gesang, von dem man sich wünscht, er würde nie enden. Dieses Lied polarisiert wahrhaftig im Sekundentakt. Und während man noch darüber nachdenkt, ob es nun einen Höhepunkt oder einen Flop darstellen soll, ist es auch schon vorbei und vergessen. Um so mehr Freude hat man wieder beim nächsten Hören. Machen Sie sich Ihr eigenes Bild und teilen Sie mir Ihre Erkenntnisse mit.
Aus der Feder von Lew Spence und Claude Baum stammt der nächste Titel, "If I had three wishes". Ein Wunder, dass die Komponisten nicht zu größerem Ruhm gelangt sind. Einerseits wieder der auflockernde Effekt durch einen Rhythmus der beinahe kein Swing mehr ist, andererseits eine "simple" Melodie, die eine Schönheit mit sich bringt, wie man sie sonst nur von Carmichael oder auch Berlin gewohnt ist. Tiefgang kann man diesem Song nicht vorwerfen, auch wenn Riddles Arrangement semi-theatralische Phrasen (schon wieder? Wie gesagt, liebevoll einem Konzept folgend zusammengestellt) beinhaltet. Aufrichtige Einfachheit ist eine seltene Kunst unter Selbstdarstellern (Künstlern), und wer sich überhaupt daran versucht hat, rutscht allzu oft ins Banale ab. Nicht so "Three Wishes", daher ein großer Applaus für die Urheber. Diese Nummer bekommt alle meine Sympathiepunkte, wegen des schönen Kontrasts zur sonstigen Grundstimmung des Albums und auch, weil wir Sinatra (etwa im Gegensatz zu Bing Crosby) viel zu selten von dieser Seite erleben durften. Auch hier ist er ein wahrer Meister.
Zur Versöhnung mit all denen, die solchen stilistischen Ausflügen wenig abgewinnen können und Sinatra lieber in übermenschlichen Höhen bewundern (ich kann das ja auch verstehen, wenn man schon einmal jemanden hat, der so etwas überhaupt bringen kann) bietet "Look to your heart" mit "I'm gonna live till I die" ziemlich schnellen, harten Swing. Und Anlass zur Frage aller Fragen: Wieso das denn? Nicht nur dass dieser Titel als einziger nicht von Nelson Riddle sondern von Dick Reynolds arrangiert wurde, er passt auch überhaupt nicht in die ansonsten stilsichere Einheit des Albums. Auch für sich betrachtet will er mir nicht recht zusagen, Sinatra wirkt in den wenigen Speed-Nummern (cf. "The most beautiful girl") größtenteils gehetzt, irritiert und aggressiv, ein Zug der ihm beim besten Willen nicht einmal unter größter Ausdehnung des Begriffs "Vielseitigkeit" zugute gehalten werden kann. Um so unverständlicher, dass er gerade als Abschluss für dieses Album gewählt wurde. Vermutlich haben wieder kommerzieller Erfolg und Anklang bei den Fans diese Entscheidung beeinflusst. Sogar in meinem Bekanntenkreis finden sich tatsächlich Leute, denen "I'm gonna live till I die" gefällt. Leider kein Einzelfall. Können Sie das nachvollziehen, geschätzte EOTC-Besucher?
Ungeachtet des in meinen Augen missglückten Albums bietet "Look to your heart" sehr viel Schönes, gerade in der Gesamtbetrachtung, und so nehme ich diesen Beitrag zum Anlass, eine Lanze für die "Schattenalben", eben jene (zu Unrecht) ungerühmten "Original"-Single-Compilations, zu brechen. Nehmen Sie, liebe Freunde, meinen Appell zum Anlass und diese Platten zur Hand oder vollziehen Sie die gewollte Reihenfolge anhand Ihrer Singles nach, ich garantiere Ihnen, Sie werden Ihre Freude daran haben. Der Reiz der hochklassigen Singles wird so in einen würdigen Stimmungsrahmen eingebunden, den ein einzelner Song für sich allein wegen der Kürze nie erreichen könnte. Mit diesen einmaligen Stücken verhält es sich ähnlich wie mit kostbaren Brillanten: Erst die richtige Fassung bringt die Ausdruckskraft eines Juwels gänzlich zur Geltung.
Herzlichst
Franz Huber
Gentlemen, do not worry. Nathan Detroit's crap game will float again!